Kopfüber in Down Under – ein Bericht von Charlotte Gerhards
Im Februar 2020 bin ich ins australische Melbourne gezogen, um einen Master in Data Analytics am RMIT zu beginnen. Zu diesem Zeitpunkt war das Coronavirus noch eher unbekannt; auch hatte es die Welt noch nicht in einen Pandemiestatus versetzt (weshalb ich mir auch keine Sorgen machte, dass 2020 nicht das beste Jahr meines Lebens werden würde). Einen Monat später, als endlich mein erstes Semester beginnen sollte, waren Australiens Grenzen schon geschlossen – und ich hatte Glück, überhaupt in Melbourne zu sein, denn die Einreise war nun internationalen Studierenden mittlerweile untersagt. Dies stellte die australischen Universitäten vor finanzielle Schwierigkeiten, da diese von den Studiengebühren internationaler Studierender abhängig sind. Die ersten drei bis vier Wochen meines ersten Master-Semesters verliefen nach Plan, danach ging es jedoch direkt in den Lockdown.
Die ersten Uni-Wochen waren geprägt von „Welcome Days“, Campus-Führungen und weiteren Einführungsveranstaltungen – ein ganz normaler Semesterstart also. Die digitale Infrastruktur der australischen Universitäten ist sehr fortschrittlich (deutlich moderner als ich das von meinem deutschen Bachelorstudium gewohnt war). Theoretisch hätte man schon vor dem Lockdown fast komplett online studieren können, da alle Lehrinhalte, Quizes und Vorlesungen auf einer internen, sehr benutzerfreundlichen Plattform meiner Universität hochgeladen werden. Somit gab es beim Umstieg auf reine Online-Lehre während des Lockdowns kaum technische Probleme. Allerdings mussten unsere Professorinnen und Professoren die Notenstruktur für das Semester komplett umbauen, da es keine Präsenzklausuren mehr gab. Dadurch gab es mehr Aufgaben und kleinere Tests während des Semesters, welche die finale Klausur am Ende des Semesters ersetzten. Die Klausuren hätten im Regelfall maximal 50% zur Endnote beigetragen. Auch wurde mehr Zeit für Online-Tutorials geschaffen, um eine zeit- und ortsunabhängig Lehre zu ermöglichen. Eine Anwesenheitspflicht gibt es in meinem Studiengang generell nicht.
Der erste Lockdown in Melbourne war nicht ganz so dramatisch, da Geschäfte immer noch offen hatten und das öffentliche Leben nicht zu sehr eingeschränkt war. Somit war mein erstes Teil-Online-Semester gut machbar. Meiner Meinung nach haben allerdings die Qualität und das Niveau der Lehre durch den Online-Unterricht ein wenig abgenommen, obwohl mehr Support zur Verfügung stand. Für das zweite Semester war geplant gewesen, dass man teilweise wieder zurück auf den Campus kommen kann, allerdings begann im australischen Winter in Melbourne eine zweite Corona-Welle. Diese sorgte ab August für einen zweiten Lockdown, der dieses Mal allerdings sehr viel strenger ausfiel: Es gab eine allgemeine Ausgangssperre von 20 bis 5 Uhr, wir durften uns nur in einem 5km-Radius von unserem Zuhause aufhalten und keine anderen Haushalte besuchen. Das Haus durften wir nur verlassen, um einkaufen oder zur Arbeit zu gehen sowie für eine Stunde Sport am Tag. Dabei galt überall eine allgemeine Maskenpflicht. Zur Arbeit durften außerdem nur noch „essential jobs“, alle anderen mussten entweder Home-Office machen oder haben in diesem Zeitraum ihren Job verloren. Da dieser harte Lockdown zirka zwei bis drei Monate anhielt, war diese Zeit sehr anstrengend und für viele eine große mentale Belastung.
Es gab für australische Bürger zwar Staatshilfen, trotzdem haben viele der Einwohner Melbournes sehr unter dem Lockdown gelitten – darunter auch viele internationalen Studierende, die keine australischen Staatshilfen in Anspruch nehmen konnten und können. Nur sehr wenige Universitäten haben ihre sehr hohen Studiengebühren ein wenig verringert, sodass man in den meisten Fällen mehr oder weniger denselben Preis für ein Online-Studium zahlte. Auch andere finanzielle Unterstützungsprogramme gab es an meiner Uni kaum bzw. nur sehr wenige Studierende haben die Bedingungen für die wenigen Förderungen erfüllt. Es wurden viele Veranstaltungen der Uni (z.B. Lebenslauf-Seminare oder „Trivia Nights“) online angeboten und man hat sich sehr bemüht, so viele Veranstaltungen wie möglich ins Digitale zu überführen.
Nach zwei Semestern fast kompletter „Online-Uni“ habe ich fachtechnisch zwar viel gelernt, allerdings habe ich ein ganzes Jahr so gut wie keinen richtigen Uni-Alltag erleben können bzw. Kontakte knüpfen können. Die meiste Zeit saß man alleine zuhause vor dem Bildschirm und musste sich vieles selbst beibringen, da man die Infrastruktur am Campus nicht nutzen konnte. Mitte Oktober hat die Regierung begonnen, Schritt für Schritt die sehr strikten Lockdown-Einschränkungen zu lockern und so langsam kehren wir hier zur „Normalität“ zurück. Das nächste Semester soll fast wieder komplett am Campus stattfinden können – bis auf die Klausuren, die wahrscheinlich für eine längere Zeit im Online-Modus bleiben werden.
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