One Belt, One Road – Die alte und die neue Seidenstraße
Beim Wort „Seidenstraße“ schwingt wohl bei vielen Menschen ein besonderer Klang von orientalischer Exotik mit, von großen Kulturdenkmälern, altehrwürdigen Moscheen, bunten Gewürz- und funkelnden Edelsteinbazaren, vielleicht auch von märchenhaften Feen und traditionell gewandeten Kaufleuten, die sich in fremd anmutenden Sprachen unterhalten. Und sicher denken sie dabei auch an versteckte Oasenstädte, verkehrsferne Gebirgsregionen und an klimatische Extrema von flirrender Hitze und klirrender Kälte, sengender Wüste und eiserstarrten Pässen.
Wie es zu diesen Vorstellungen gekommen ist und wer uns diese Gedanken eingeimpft hat, schilderte Prof. Dr. Hermann Kreutzmann von der Freien Universität Berlin in seinem GeoComPass-Vortrag sehr fundiert, prägnant und mit großem Engagement. Schon in seinen frühesten akademischen Jahren galt Kreutzmanns Interesse Zentralasien, und hier insbesondere den stets entlegenen und schwer erreichbaren Tälern im Norden Pakistans und im Osten Afghanistans und Tadschikistans. Prof. Kreutzmann, der neben der pakistanischen Verkehrssprache Urdu auch mehrere Regionalsprachen dieses Hochgebirgsraums beherrscht, hat in fast 40 Aufenthalten insgesamt bereits fünf Jahre im Norden Pakistans zugebracht – einer Region, die in die früheren Geschehnisse entlang der Seidenstraße(n) ebenso involviert war wie in die aktuellen Bemühungen Chinas, diesen historischen Handels- und Kulturweg im Rahmen der nationalen Entwicklungsstrategie des „One Belt, One Road“ wiederzubeleben.
Heute steckt Zentralasien voller Widersprüche, spiegelt Elan und Aufbruchsgeist, offenbart aber auch dramatische Naturszenen, ist Rückzugsort abgelegener, ja abgekoppelter Kulturen und gleichzeitig vorderste Front eines von China getragenen rasanten Wandels, von dem wir in Europa noch nicht einmal ansatzweise eine Vorstellung haben.
Mit romantischen Bildern räumte Prof. Kreutzmann auf – oder zeigte sie ausschließlich in der Retrospektive. Unsere Seidenstraßenschwärmerei ist so verklärend wie falsch: ein GeoComPass-Abend mit einem wahrhaft aufrüttelnden Perspektivwechsel.
Photo: Khunjerab Port – chinesische Zollstation am Khunjerab-Pass, mit 4.693 m höchster befestigter Grenzpass der Welt und höchster Punkt des Karakorum Highway. (Photo: Hermann Kreutzmann)